Lang, lang ist's her, da saß ich zuhause in der Küche, so jung und schon so traurig, und versuchte, die Abendzeitung zu lesen. Paul, die Liebe meines Lebens, von der ich auch mein Kind hatte, war nach England abgezogen, um die große Karriere zu machen und seine LP "Hallelujah" (Long hair LHC 25) aufzunehmen. Keith Forsey und England hatten also gewonnen, ich und deutsche Poesie waren dem Untergang geweiht.
Nichts sollte es werden mit einem gemeinsamen Projekt mit deutschen Texten und gepflegter Rockmusik, mit dem ich sogar schon Udo Lindenberg, der damals noch als Studiomusiker bei Doldinger spielte, vergebens genervt hatte. Ich wollte beinhart und gemein einem geneigten Publikum den Frust meines jungen Lebens in heimischer Sprache zu Gehör bringen und auf offener Bühne sterben, oder zumindest ganz groß rauskommen. Aber keiner wollte mit mir spielen. Ich war nur eine Frau. Und außerdem total verrückt.
Darüber hinaus sang ich im Studio, wenn man mich nur gut bezahlte, auch für die Oberkrainer. Man konnte mich als Sängerin mieten, für 50 DM die Stunde.
Inzwischen hatte ich auch schon meinen "Beamtenjob" bei der Bayerischen Staatsoper bekommen, den ich aber damals nur als Mittel zum Zweck sah, quasi nur vorübergehend. Er sollte mich und mein Kind ernähren, falls ich doch noch am Leben bleiben wollte. Das Genie Paul Vincent, der Mistkerl, war ausgerückt, und ich saß nun da und flennte und rauchte und trank Kaffee und schluckte Tabletten und las unter Vermischtes: Band sucht Sängerin. Das war die Gelegenheit, Paul zu zeigen, was eine Harke ist! Es würde das Letzte sein, das ich noch tat. Ein guter Abgang, fand ich. Ich also ans Telefon, und dann ging alles ganz schnell.
Die Jungs von der Band konnten damals nur drei Akkorde, vielleicht auch vier, aber sie brannten vor Begeisterung. Und in Peter Randl fand ich sofort eine verwandte Seele, er war bereit, den Wahnsinn total auszufahren. Doch erst einmal betrieben wir Straßentheater. Ich erinnere mich noch, wie Peter unseren Gitarristen auf seinen Schultern durch die Leopoldstraße in München trug: Der blonde Gitarrenjüngling - mit gasmaskenmäßiger Sonnenbrille, Buchhalterärmelschonern, Schirmmütze und Peitsche bewaffnet - trieb den Randl an, bloß nicht schlapp zu machen. Ich lief hinterdrein und rang Sarah-Bernhard-mäßig die Hände und rief: "Oh, habt Erbarmen!" Es gab so manchen Volksauflauf, es war der reine Punk.
Ja, Drosselbart war die erste Punkband Deutschlands, denn Amon Düül konnten zu der Zeit schon acht bis zehn Akkorde. Randl war kahl rasiert und hatte sowas wie Springerstiefel an. Er ging sogar kellnern, nur, um spielen zu können. Wie bereits erwähnt, verdiente ich damals außer in der Oper noch ganz gut nebenher als gesuchte Studiosängerin. Ich sang z.B. für Klaus Doldinger, Udo Jürgens und die Krimifilme mit der Musik von Peter Thomas, eben alles, was halt so anlag.
Ich kratzte eine Menge meiner Kröten zusammen, um das Union-Studio für ein paar Stunden zu mieten: Ein amtliches Demoband von Drosselbart musste her. Wir konnten damals nur eine Nummer, den "Engel des Todes". Also gingen wir eines Nachmittags hin und nahmen irgendwie auf. Der Tonassistent Mack - später ein berühmter Sound Engineer aus dem Musicland-Studio, der Queen und solche Kaliber aufnahm - brachte uns irgendwie auf Band. Anschließend hätte das Mehrspurband noch abgemischt werden müssen, doch die gebuchte und bezahlbare Zeit war leider schon um. Leider fehlte dem Union-Studio nach unserer Drosselbart-Session ein teures Studiomikrofon, und so bekamen wir als Band auch noch Studioverbot. Mack aber, der auch einen Hang zum Anarcho und ein Herz für Tiere hatte, mischte uns nachts heimlich das Ganze ab, so zwischen Dunkel und siehst-mich-nicht, und - ganz umsonst. Und mit diesem Band ging ich zu Siegel, ja, zu Ralphie, der damals auch noch jung und verdorben war. Er mit seiner Hitnase roch da was und verkaufte uns ganz schnell (wahrscheinlich viel, viel teurer) an die Polydor. Wir aber sahen nur 10.000 DM für die gesamte Produktion der LP.
Übrigens, Werner Schüler, unser Bassist, der schon damals heimlich einen Anzug im Schrank hatte, blieb später bei Siegel als festangestellter Schlager-Adlatus hängen. Inzwischen aber klopften wir Drosselbärte bei Teuton, dem rothaarigen Drummer, im Keller unser Repertoire zusammen, eine Gemeinschaftsproduktion, ganz auf die Schnelle, mit dem schöpferischem Schwergewicht auf Randl und mir. Und wer uns beide kennt, weiß, dass das so war.
Irgendwann mietete sich die Band dann in Eching ein Reihenhaus, um ganz ohne Beschränkung üben zu können. Sowas wie eine Band-WG war geplant. Ich persönlich fand diese Idee nicht so toll, denn WGs musste immer ich finanzieren und kochen und putzen und so ... Da aber war meine Zeit bei Drosselbart sowieso schon fast zuende. Ich hatte nämlich zuvor schon mit der Bayerischen Staatsoper einen Vertrag als Opernsängerin abgeschlossen, der mich verpflichtete, nur mit Genehmigung meines Dienstherren öffentlich zu singen. Und sowas wie Drosselbart durfte ich nicht einmal erwähnen in diesen heil'gen Hallen. Zuerst verschleierte ich mich noch, wo es nur ging, hieß Jemima statt Mono und trug für die Fotos mit Drosselbart eine Perücke. Ich wäre fristlos geflogen, wenn rausgekommen wäre, was ich da so nebenbei trieb. Leider hatte ich in meiner Dummheit aber auch noch bei Siegel den Drosselbart-Vertrag abgeschlossen, und zwar als Exklusivvertrag, versteht sich.
Für mich stand eigentlich von Anfang an fest, dass wir Drosselbärte nicht live auftreten könnten, zumindest nicht mit mir. Ich wollte ja eigentlich sowieso nur die LP, um es Paul so richtig zu geben! Ja, ich war immer schon zu allem fähig, wenn es darum ging, meine schöpferischen Einfälle zu verwirklichen. Es wäre unfair gewesen, die Jungs weiter hinzuhalten. Ich musste eine Entscheidung treffen: Also durchkündigen bei den Drosselbärten, denn die Oper war eine sichere Nummer, falls ich am Leben blieb. Tatsache ist, dass mich mein Anwalt, Alfred Meier (Gott hab ihn selig), aus dem "Eisensteinvertrag" bei Siegel herausboxte, was mir aber den lebenslangen Hass von Ralphie-Boy einbrachte. "Solange ich lebe, wirst Du keinen Ton mehr im Studio singen!" (O-Ton Siegel). Es war eine schöne Zeit mit den Drosselbärten. Ich schrieb damals mein erstes und schönstes Liebesgedicht an Jesus: Du bist der eine Weg. Es hat mir viel bedeutet, dieses Lied zu singen. Unser Keyboarder, der ziemlich gut war und alle Akkorde kannte, hatte es wunderschön komponiert. Allein schon deswegen hat sich alles gelohnt, das kann ich mit Fug und Recht behaupten. Dieses Lied musste ich singen.
Nur Paul Vincent wollte die LP nicht mal anhören, als er von England mit seiner eigenen LP zurückkam. Aber er ist bei mir geblieben bis heute. Gesungen habe ich mein Leben lang. Und wenn ich nicht gestorben bin, singe ich noch heute.
Mono alias Jemima, Sommer 2003 Besonderen Dank an Mono für die wertvolle Unterstützung, an Joe Mubare (Peter Randl), Christian "Überschall" Trachsel und die anderen Drosselbärte Beschreibung mit freundlicher Genehmigung von Longhair
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